HÖREN ► Reflektionen II − IV ► Reflektionen IV
 
VITA ► WERKE ► C. KAMMERMUSIK . . ► Reflektionen IV

 
Reflektionen II − IV (Texte):
 
   ◄ III: Liebe Mitbürgerinnen
        und Mitbürger
 
   ► II: Augapfeltiefe

Gertrude Stein (1946):

Überlegungen zur Atombombe

(zur englischen Originalfassung)

Man hat mich gefragt, was ich über die Atombombe denke. Ich habe geantwortet, dass ich nicht in der Lage sei, dafür ein Interesse zu entwickeln.

Ich lese gern Detektiv- und Kriminalgeschichten. Niemals kann ich genug von ihnen bekommen, aber wenn eine von Todesstrahlen und Atombomben handelte, könnte ich sie nicht lesen.

Worin besteht der Nutzen – wenn diese Waffen wirklich so zerstörerisch sind, dann bleibt am Ende nichts übrig, und wenn nichts mehr da ist, wäre auch niemand mehr da, der sich dafür interessiert und auch nichts, für das man sich interessieren könnte.

Wenn sie nicht so zerstörerisch sind, dann sind sie nur etwas mehr oder weniger zerstörerisch als andere Dinge, und das bedeutet, dass trotz aller Zerstörung immer noch eine Menge Menschen auf der Erde bleiben, die interessiert oder Willens sind – und das zerstörerische Ding ist nur eins, mit denen dessen Erfinder beschäftigt sind oder die, die es einsetzen; sonst kann niemand etwas damit oder dagegen tun – somit muss man einfach weiterleben wie bisher.

Man sieht also, die Atombombe ist nicht im Geringsten interessant, nicht interessanter als irgendeine andere Maschine, und Maschinen sind nur als Erfindung interessant oder in dem, was sie tun – warum sich also dafür interessieren?

Ich könnte mich nie für die Atombombe interessieren, genau wie für die Geheimwaffen, die alle haben. Dass sie geheim sind, macht sie langweilig und bedeutungslos. Sicher werden sie viel zerstören und töten, doch es sind die Lebenden, die interessant sind, nicht die Wege, sie zu töten. Denn wenn nicht eine Menge Überlebende blieben – wie könnte es dann ein Interesse an Zerstörung geben?

In Ordnung, das ist meine Haltung dazu.
Sie glauben, sie interessieren sich für die Atombombe, doch tatsächlich tun sie das nicht mehr als ich. Wirklich nicht. Sie mögen ein wenig bange sein, ich bin nicht bange – es gibt so Vieles, vor dem man bange sein kann – worin liegt der Nutzen, sich mit Bangigkeit zu quälen? Und wenn man sich vor der Atombombe nicht fürchtet, ist sie uninteressant. Alle bekommen ständig so viele Informationen, dass sie ihren gesunden Menschenverstand verlieren.

Sie nehmen so viel in sich auf, dass sie vergessen, natürlich zu sein.

Dies ist eine nette Geschichte.


(Übersetzung aus dem Englischen: Mathias Wittekopf)