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Vorübergehende Zustände

Das Vergehen von Zeit ist die selbstverständliche Grundbedingung unseres Lebens. So banal diese Aussage einerseits ist, berührt sie doch das Rätsel unserer Existenz. Auch wenn wir uns vielleicht manchmal wünschen, die Zeit stünde still – oder wenn wir in der Kunst die Idee der stillstehenden Zeit zu vermitteln suchen:
das Leben geht weiter; und wenn wir sterben müssen – hört die Zeit dann auf, steht sie dann für uns still?

Die Erfahrung, dass nichts bleibt, wie es war, verbunden mit dem Wunsch, Vergängliches festzuhalten, hat uns (abendländisch Zivilisierte) zu der Vorstellung von Momenten geführt, die mehr oder weniger säuberlich aneinander aufgereiht unsere Wirklichkeit, unser Leben begreifbar machen.
Die tatsächlich wirkende Kontinuität können wir auf diese Weise bestenfalls ahnen . . .

Musik wird oft die abstrakteste der Künste genannt, weil ihr Material und ihre Elemente so flüchtig seien, nur im Moment des Hörens existieren. Möglicherweise korreliert mit dieser Ansicht die Vorstellung, Musik könne ganz besonders „Höheres” offenbaren. Darüber kann man streiten, vielleicht finden viele Menschen Musik abstrakt, weil sie die Notenschrift nicht lesen können (Sprache ist in diesem Sinn ebenso „abstrakt”, die Buchstabenschrift ist nur bekannter).

Aber wie die Sprache ist Musik aufgrund ihrer „Flüchtigkeit” sicher gut darin, von Themen wie Vergänglichkeit und Transzendenz zu handeln.

Aus diesen Gedanken, aber auch aus meiner eigenen Erfahrung des Älterwerdens, aus Begegnungen mit dem Tod im Freundes- und Verwandtenkreis entstand der Wunsch, eine Musik mit Texten über Vergänglichkeit zu komponieren.

Einige Texte wie Sekundenzeiger von Hans Arp oder Beruhigung von Thilde Käufer hatte ich schon früher mal vorgemerkt, andere (die beiden englischsprachigen Texte in meditation 1 und 2) habe ich recherchiert, und Hugo Ernst Käufer schrieb seinen Text Stillstand während meiner Vorarbeiten.

Der Titel „Vorübergehende Zustände” stammt von einer Ausstellung, die wir als Wohngemeinschaft 1989 in unserem Haus, einer Gründerzeitvilla im Essener Osten, veranstaltet haben.