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Kindermund
elektroakustisches Hörstück

Kindermund ist eine Reise in die Sprech- und Sprachwelt des 20 Monate alten Leo.
In dieser Zeit des beginnenden Spracherwerbs vollbringen wir Menschen die scheinbar selbstverständliche und doch so erstaunliche Leistung, die Welt in uns und um uns herum mit gehörten und nachgebildeten Lautäußerungen zu verknüpfen.

Diese Sprachfindung hat neben vielen anderen Aspekten auch eine musikalische Dimension. Das lustvolle Spiel mit den Klängen der eigenen Stimme in beständig entwickelnder Variation hin zu einem immer differenzierteren persönlichen Ausdruck ist nichts anderes als das Erlernen eines Instruments.

In letzter Konsequenz könnte ein Sprach-Hör-Spiel-Projekt die Entwicklung einer Stimme im Laufe eines ganzen Lebens verfolgen, dazu fehlte in diesem Fall die Zeit. 😉

Stattdessen habe ich das Ohrenmerk auf die Vorgänge des Wiederholens und Veränderns sowie des Spiels mit kleinen und kleinsten Partikeln der Sprache gelegt. Diese Prozesse begleiten und kontrapunktieren Passagen mit originalen Sprachaufnahmen des singenden und spielenden Kindes.

Unterschiedlichste Assoziationen werden hier geweckt: Chor, elektronische Musik wie im Fall von Stockhausens Gesang der Jünglinge im Feuerofen, das Britzeln der Synapsen, Instrumentalklänge . . .

Formal ist das Stück in 3 Teile gegliedert, deren Dauer orientiert sich an den drei benachbarten Fibonacci-Zahlen 144, 377 und 233; die Proportionierung im Goldenen Schnitt soll schon auf dieser äußeren, abstrakten Ebene das Gefühl einer natürlichen Entwicklung vermitteln, deren Schritte sich ausgewogen aufeinander beziehen.

Im ersten Teil hören wir Leos damaliges Lieblingslied vom Bi-Ba-Butzemann. Lieder wie dieses sind mit ihrem Ohrwurm-Potenzial für den Spracherwerb echte Meilensteine! Nie wurde Leo müde, dieses Lied immer und immer wieder zu singen und sich dabei auf der Schlitztrommel zu begleiten.
Meine kompositorische Begleitung dazu beruht auf der Zerlegung und Re-Synthese seines Gesangs zu einer Art Background-Chor.

Nach dem Lied-Vorspiel erleben wir eine weitere Form, in der kleine Kinder mit Lust ihre Synapsen verschalten: das Lesen von Bilderbüchern. In diesem Fall ist es die Geschichte vom großen und vom kleinen Fisch, die mit großer Ausdauer immer wieder durchblättert, gelesen und kommentiert werden musste.
(Lesen finde ich hier durchaus passend, da kleine Kinder die Bilder lesen, auch wenn sie geschriebenen Text noch nicht lesen können.)
Während die Begleitung und Komposition im ersten Teil noch den Charakter eines Sprechchors hatte, findet nun eine zunehmende Musikalisierung und Ausdifferenzierung der Parameter Tonhöhe und Rhythmus statt.

Im dritten Teil geht diese Entwicklung noch weiter: war im Lied und in der Lesung Leos Stimme noch durchaus „im Original” (so wie mikrophoniert) zu hören, so ist sie nun weitgehend „verklanglicht”, moduliert und Teil der musikalischen Syntax.
Die Sprachklang-Serenade besteht aus 26 kleinen Formteilen (mit einem Hintergedanken an die 26 Buchstaben des Alphabets), im Verlauf entstehen aus den Formantklängen kleine Melodiebögen.

Der Vorstellung entsprechend, dass diese Klangwelt in uns und um uns herum lebt, habe ich das Stück in 5.1 Surround produziert. Bis auf an einigen Stellen hörbare Schläge auf einer Schlitztrommel sind alle Klänge aus Leos Stimme gewonnen.