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Röslein
Dieses Stück entstand als Soundtrack des synästhetischen Projektes Röslein, das ich zusammen mit dem
Bochumer Künstler Thomas Zehnter für den Wettbewerb Im Namen der Lippischen Rose im Jahr 2006 realisierte.
Die Musik entwickelt hierbei den Zeitraum, in dem Thomas Zehnter choreographisch sein Bild zum Thema
„Rose” entstehen lässt.
Musik und Malerei gehen in diesem Gemeinschaftsprojekt eine innige Beziehung ein, und – wie es für eine
gelungene Beziehung charakteristisch ist: – beide Partner existieren dabei durchaus eigenständig.
Der Grund hierfür liegt im gemeinsamen Bezug auf ein Drittes – nämlich Johann Wolfgang von Goethes
bekanntes Gedicht Heideröslein aus dem Jahr 1771 und dessen 44 Jahre später komponierte Vertonung durch
Franz Schubert.
Goethes Text mit der Musik von Schubert wird allerdings als Ganzes oder in längeren Abschnitten nicht hör- oder sichtbar,
denn es handelt sich bei diesem Projekt nicht um eine Bearbeitung oder „Instrumentation”
im traditionellen Sinn; vielmehr ging es Thomas Zehnter und mir um die Entwicklung eigener (auditiver wie visueller)
Assoziationen aus dem Material der Vorlage heraus.
Dieser Prozess ist dennoch klar strukturiert: obwohl Goethes Gedicht nur punktuell wirklich hörbar wird, läuft es
doch einmal vollständig in der Zeit ab – als formaler Generator mit einer simplen „Schaltung”:
ein Goethe-Buchstabe entspricht einem Schubert-Achtel mit einer Länge von 575 Millisekunden; daraus ergibt sich eine
Gesamtlänge von 4 Minuten 28 Sekunden.
Diese Zeitbasis mit ihrer Unterteilung in Worte, Zeilen, Strophen und Refrains bildete das Gerüst für die gemeinsame
künstlerische Arbeit und bot Aufhänger für assoziative Verknüpfungen.
Schuberts Musik steht zu dieser Art von „Goethe-Form” quer – schließlich sind Buchstabenrhythmus,
Sprachrhythmus und Singrhythmus schon 3 verschiedene Paar Schuhe. Dies führt auf musikalischer Ebene immer wieder
mal zu Verselbständigungen, Ab- und Umwegen (wie z.B. Zusammenfassung aller Melodietöne zu einem Klang, Auszierung
mit Fremdtönen, Transposition in andere Tonarten, Morphing in andere Stücke . .).
Bei der musikalischen Gestaltung waren mir viele Assoziationen hilfreich, welche hier alle gar nicht ausführlich
benannt werden können.
Für die Auswahl der Klangfarben bot es sich natürlich an, den Text von einer Knabenstimme (Saladin Hafermalz)
sprechen und von einer Sopranstimme (Kerstin Gennet) singen zu lassen; weitere Instrumentalstimmen nehmen als
Ausgangspunkt die ursprüngliche Besetzung der Begleitung für Gitarre bzw. (später) Klavier.
All diese Klangfarben müssen es, wie im Gedicht vorgegeben, leiden, in vielfältiger Weise gebrochen und verändert zu
werden. Als eines von vielen Beispielen sei hier das Textzitat „Ich steche dich” genannt, bei dem die
Sopranstimme durch Filtrierung und Phasenverschiebung einen besonders stechenden Klang bekommt.
Weitere wichtige Elemente sind Wiederholungen wie „Röslein, Röslein, Röslein . . .” oder auch das
jeweils am Ende eines Strophenabschnittes vom Sopran zu hörende „[. . .] auf der Heiden” (im pastoralen
F‑Dur), Pedalisierung wie das ab Minute 2:11 (Goethe: „daß du ewig denkst an mich”) erklingende ewige
e2 des Soprans (in der Originaltonart bei Schubert hat die Singstimme auf dem e von ewig tatsächlich ein
e!) und – hierdurch eingeführt – musikalische Transliteration wie zum Beispiel die Töne
a1 – c2 – h1 an der Textstelle „Ach”.
Oben erwähnt wurden bereits die Seitenwege, die Schuberts Musik mitunter geht – frappierend ist hier zum
Beispiel die Ähnlichkeit des harmonischen Verlaufs der ersten Takte mit dem Anfang des Präludiums Nr. 1 aus
dem 1. Band von J. S. Bachs Wohltemperierten Klavier, vor allem auch wegen dessen nachträglicher Verwendung
als Begleitung für Gounods Ave Maria.
Nicht zuletzt spielt das als „Farbenhören” bekannte Phänomen eine gewisse Rolle bei der Auswahl von
Tönen und Klängen für bestimmte Stellen.
So nennen verschiedene 'Lehren' für die Farbe Rot den Ton G oder auch C, und an anderer Stelle („mußt' es eben
leiden”) wird eine in Thomas Zehnters Choreographik vorgenommene Tönung des Rot mit Blau zu Violett mit dem
Tristan-Akkord (f – h – dis1 – gis1) aus Richard Wagners Tristan und
Isolde unterlegt.
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