Hugo Ernst Käufer:
Augapfeltiefe („Eyeballdepth”)
(back to English translation)
Die Worte, die man hergibt, müssen tragbar sein
– kein Gerede.
Das Auge: das Fenster zum Anschauen der Welt
der Schlüssel zum Erkennen der Bilder
der Widerglanz im Auge des Anderen
der Weg zum Buchstabieren der Worte
der unaufhörliche Fotoclick in jungen Jahren
das Netzwerk zum Sichtbarmachen der Gedanken
die reiche Schatzkammer des Wiedererkennens
– das Auge.
Die Krüge des Sehens der Blinden sind bodenlos.
Ihr Innenaug' greift über den Rand hinaus
Grenzenfern.
Das Auge kann reden:
Augensprache
Herzauge
Augentrost
Mondauge
Spracheaugen
– das Auge kann reden.
Das Auge im Gespräch mit den Dingen der Welt
Den Hoffnungen des Tages
Dem Leid der Nacht.
Bleib bei dir
Wenn das Schiff deiner Wünsche, deiner Hoffnungen
Auf stürmischer See kentert
Mit leeren Netzen heimkommt
Aber melde dich zornig
Wenn die Mächtigen den Schwachen die Luft zum
Atmen nehmen
Verteidige die Lämmer vor den Wölfen
Bleib bei dir
Vertraue dich dir selber an
Augapfeltiefe.
Am Auge vorbei
schiebt behutsam ein kleiner Junge seine Holzeisenbahn
Und träumt von fernen Ländern.
Geh freundlich um mit dem Licht in deinem Aug'
Am Abend
Wenn die Dunkelheit anklopft.
Das Auge kann nicht kopfstehen
Das Auge kann nicht hören, das Auge kann nicht riechen
Das Auge kann nicht atmen, aber
Das Auge kann weinen.
Was man in frühen Zeiten nicht erblickt –
Das Blatt, den Grashalm, den Tau,
Fühlt man in späten Jahren nimmermehr –
Den Baum, das Heu, den Regen.
Die Wiederkehr der Bilder aus dem Land Es-war-einmal
Zeitbewahrer
Geschichtenerinnerer
Auge.
In einem alten Auge
Sind die Stufen und Ringe
Eines ganzen Lebens aufbewahrt:
Hoffen und Bangen
Gewinn und Verlust.
Das Erste: das Öffnen der Lider bei der Geburt
Das Letzte: das Schließen der Lider beim Tod
Das Erste, das Letzte
Aufstieg und Abstieg
Das Erste, das Letzte
Ein ganzes Leben.
Augenblicke
Die Hände des Großvaters,
Als er über mein Haar strich
Mich beruhigte
Nach dem Schrecken im Traum.
Augenblicke
Das flinke Hackbeil des Onkels,
Als er meinem Zwerghähnchen den Kopf abschlug,
Die Suppe kochte.
Wie ich ihn hasste,
Rache einforderte
Für später.
Augenblicke
Der junge Flakhelfer,
Als er am Ende des Nazikrieges,
Nach einem Fliegerangriff auf den Zug im Lünener Bahnhof
In meinen Armen starb.
Der erstaunte Schrecken
In seinen offenen Augen.
Gottesauge, Satansauge, Abraxos
Wir hin und her
Oft auf der Grenze
Oft im Niemandsland
Wir die Ernte, der Zoll.
Das Reis, die Hornhaut eines Fremden in ein anderes Auge
gepflockt
Hat das Dunkel des Anderen wieder aufgehellt:
Zum Sehen verholfen.
Wir wissen es:
Das Reis, die Hornhaut hinterließ ein Toter.
Reis im Aug' von einem anderen Leben –
Ihm sei Dank.
Sundmacher, der Augenprofessor
In Heines Universität schiebt die Dunkelheit beiseite
Macht gekonnt der Hornhaut, dem Reis
Zum Einheilen Mut.
Auf einem amtlichen Schreiben der Augenklinik
In der Heinrich-Heine-Universität
Zu Düsseldorf am Rheine
Blickt mich das Konterfei des Dichters traurig an.
Ich weiß nicht, was soll es bedeuten.
Vielleicht hat er Mitleid mit mir
Vielleicht hofft er mit mir auf neues Sehlicht
Wegbegleiter Heine.
Im Embryo wölbt sich nach drei Wochen das Gehirn nach vorn
Mit Winzlingsaugen
Schon vollendet, sagte der Doktor.
Die Schönschrift der Schöpfung
Kunstwerk Auge.
Um manche Politiker und Manager weht eine Luft,
Die dem Auge weh tut
In der man schlecht atmen kann.
Die gaffenden Mäuler johlten heftig, lärmten laut und glücklich,
Als sich die Boxidole gegenseitig die Augen blau schlugen
Es war ein herzig's Veilchen
Der Sieger küsste den Meistergürtel:
Oh glückliche Stunde.
Die Augen links, die Augen rechts, die Augen geradeaus,
Stillgestanden
Gewalt gegen Augen.
Verschweigen wir nicht, dass uns das Miteinander
Menschen sind Menschen überall
Kein Dorn im Aug' ist.
Tagsüber schreibt der Filzstift
Verse, die mir die Nacht ersann
Zum Beispiel
Über das Reden des Auges.
▲